Donnerstag, 21. September 2017

Freiheit und Vaterland - Liberté et Patrie (2002)






Ein zwanzigminütiger Film Godards, und wie das DVD-Booklet dieses und drei anderer seiner Kurzfilme sagt: Filme, die alles umfassen, Kunst und Freiheit, Präsenz und Gedächtnis, Gewalt und Leidenschaft. Allesumfassende Filme hat Godard aber immer schon gemacht, selbst zu Beginn: Filme, die stets Aufmerksamkeit von sich selbst weglotsen, Referenzen, die uns zu Kunstwerken, zu Begebenheiten, kleinen Fabeln und Geschichten, Kriegen, Personen usf. führen, auch oder vor allem zu Godard selbst, zu früheren Arbeiten; wir müssen uns also umsehen in der Welt, um diese Filme zu erfassen, oder um in ihnen unterzugehen.



Liberté et Patrie: Freiheit und Vaterland, um dieses Wort- oder Ideenpaar strukturiert er diesen Film wie eine Kugel. Solche Wortpaare, die zwei Begriffe gegeneinander ausspielen und sich selbst in Schwingung versetzen, ist das eine gute Idee, um sich diesem Kino zu nähern? Auf jeden Fall bringt im Film Godard noch andere vergleichbare Paare: Hände und Augen etwa: Hände – Vaterland und Augen – Freiheit. Oder Form (la forme) und Inhalt (le fond, ist das wirklich übersetzbar? Ebenso bei seinem sich gerade in Arbeit befindendem Film Paroles et Images: wie Godard in einem Interview vermerkt, ist paroles nicht mit Worte nicht beizukommen.). Dann also Form – Vaterland und Inhalt – Freiheit? Der Grundgedanke ist die Freiheit, die im (in Form des) Vaterland(s) möglich / durchgesetzt / zelebriert wird. Die Umkehrung ergibt durchaus ebenfalls Sinn (aber Sinn in einem Film wie diesem?): In Form der Freiheit steht das Vaterland, oder: durch das freiheitsorientierte Gesetz (das die Form des Lebens festlegt) wurde unser Vaterland geschaffen. Liberté et Patrie: es ist die Inschrift auf dem Wappen des Kanton Waadts, in dem Godard, am Genfersee, lebt und in dem ich mich übrigens gerade ebenfalls befinde.



Die Geschichte eines Schweizer Malers wird in diesem Film erzählt, die Parallelen aufweist zu derjenigen Godards (Waadt – Frankreich sind zwei Pole in beider Leben); dass der Maler eine fiktive Figur aus einem Roman Ramuz`, ebenfalls Waadtländer, ist, spielt keine Rolle. Der Film ist auch ein Diskurs (und so angemessenerweise von zwei Sprechern vorgetragen) über Wirklichkeit (das ist zwar wohl jeder Film) und dessen Interpretation, über Bild und Repräsentation, über: „Sieh dir dies an“ – und – „Stell dir dies vor“; oder, wie es in Adieu au language heisst: „Ceux qui manquent d‘ imagination se réfugient dans la réalité“, und ebenso wie jener ist dieser Film hier auch vor allem eines: unglaublich schön. Die schönsten Überblendungen seit Sternberg oder Bruce Baillies Castro Street!, könnte man sich etwa auf dem Filmposter als Werbeslogan vorstellen. Diese langsamen Überblendungen, oft zwischen Gemälden und wirklichen Filmaufnahmen (in beide Richtungen), die Ähnlichkeiten herausschälen, die oft so langsam vonstattengehen, dass man sie kaum bemerkt; diese Überblendung haben enorme intellektuelle Kraft und sind doch auch einfach entrückend schön anzusehen – die Brücke zwischen Vorstellung und Realität, wir spinnen sie erst und überschreiten sie dann. Am Ende wird, zusammen mit Beethovens Streichquartett, so etwas wie eine Ekstase erreicht, vielleicht ähnlich dem Kindergeplärr, das Adieu au language beschliesst.
Liberté et Patrie. Wo finden wir die Freiheit im Vaterland des Films? Und wo stösst die Freiheit des Films auf das Vaterland?

 
++
Autor: Cameron

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