Dienstag, 13. August 2013

Ein bizarr-sinnliches Theaterstück - Kritik: M. Butterfly (1993)


Auch nach der zweiten Sichtung erweist sich "M. Butterfly" als ein Film, zu dem ich einerseits ganze Bücher schreiben wöllte, aber der mir auf der anderen Seite schier die Sprache verschlägt. Zwar sucht man Cronenbergs Vorliebe für fleischigen Bodyhorror vergebens, doch auch dieser Film ist einfach durch und durch ein Cronenberg. Abermals interessiert sich Cronenberg dafür, wie wir die Realität auffassen. Aus diesem Grund macht er sich die klassische Thematik einer Madame Butterfly - einer chinesischen Dame, die sich in einen weißen Ausländer verliebt und sich ihm völlig unterwirft - zu nutzen , allerdings mit dem feinen Unterschied, dass die Rollen diesmal vertauscht sind, und dass die "Butterfly" nur vorgibt eine "Madame" zu sein, um ausländische Diplomaten auszuspionieren.


Rene Gallimard, in den 1960er-Jahren Mitarbeiter der franz. Botschaft in Peking, verliebt sich in diese(n) "Butterfly", und möchte am liebsten seine eigene, imperialistisch geprägte, Liebesgeschichte erleben. Doch es kommt andersherum: fasziniert von den - angeblichen - Bräuchen und Sitten seiner - angeblichen - Butterfly, gerät er immer mehr zum Spielball selbiger, und scheint nur das sehen zu wollen, was ihm in seinen westlichen Blick auf das Reich der Mitte passt. Cronenberg geht dabei nämlich sehr clever vor: Dem Zuschauer wird schnell klar, dass sich hinter der Madame eigentlich ein Monsieur im Auftrag der chinesischen Regierung versteckt. Er ist allerdings auch dazu gezwungen, die Geschehnisse durch ein Fernglas zu betrachten, da Cronenbergs Regie durchweg sehr distanziert und ruhig ist. Gallimard, den Jeremy Irons hervorragend verkörpert, hat diese Möglichkeit nicht. Er sieht sich als Held seines eigenen Theaterstücks, und ignoriert auch etliche seltsame Angewohnheiten seiner Butterly: Er darf sie (ihn) nicht nackt sehen, die Schwangerschaft und Geburt des gemeinsamen Kindes will sie (er) an einem abgeschiedenen Ort ohne ihn verbringen, usw.
Dabei stellt sich dem Zuschauer mehr und mehr die Frage, was er denn tun würde, wenn er in Gallimards' Situation wäre: Man würde wahrscheinlich ähnlich handeln, da es wohl eine menschliche Eigenart ist, nur das zu sehen, was man sehen will.



Denn als sich die Butterfly vor Gericht als ein "er" zu erkennen gibt, leugnet Gallimard, ihn jemals geliebt zu haben. Er hat nicht ihn als Menschen geliebt, sondern das, was er für ihn verkörpert hat, auch wenn er feststellen muss, dass Haut und Stimme nach wie vor die selben sind, die er an seiner Butterfly so mochte. Er verkraftet nicht, dass er einfach nur das gesehen hat, was er sehen wollte, obwohl die Anhaltspunkte mehr als offensichtlich waren. "M. Butterfly" ist somit ein Film über die menschliche Wahrnehmung, aber auch darüber, wie sehr wir doch von Vorurteilen und Wunschdenken geprägt sind und gesteuert werden.


8.5/10

Autor: MacReady

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