Freitag, 20. Juni 2014

Terrorkino im Bergmanstil? - Klassiker der Extraklasse: Die Jungfrauenquelle (1959)




»God have mercy on me.« - Wie im bereits zwei Jahre zuvor erschienenen Film »Das siebente Siegel« transferiert Bergman seinen Film in die mittelalterliche Epoche Schwedens und rekonstruiert gekonnt diese Epoche, nicht mehr ganz so pessimistisch wie einst, aber zweifelsfrei detailreich. Im Mittelpunkt stehen wie auch einst, Gott und der Mensch, kühl wirken die schwarz-weißen Bildern in ihrer analytischen Intensität, das Spiel zwischen Lichtbeleuchtungen und Schatten ist faszinierend und die Bauten erwecken das Mittelalter abermals lebendig wieder. Die Kamera ist präzise und erzeugt naturell-intensive Bilder. Wen wundert´s? Die Kamera wird geführt vom großen Sven Nykvist. Nykvist zeigt sich besonders faszinierend vom Morgengrauen, der Dämmerung des Sonnenscheins und von Abschirmung der Natur. Man man legt wert auf ein düsteres und symbolisches Ambiente. Thematisch ist der Film einer mittelalterlichen Ballade nachempfunden. So greift auch hier Bergman seine Lieblingsmotive der Religiosität, der Suche nach Gott und der Glaubensfrage auf.



Ansonsten lassen sich so auch einige Märchenmotive (»Goldmarie« und »Pechmarie«) wiederfinden, mit welchen Bergman selbstredend auch abrechnet, so dämmert es aber auch schnell, dass die daraus profitierende Abrechnung mit den Oberflächen (symbolisiert durch die verwöhnte Bauerstochter) als konsequente Weiterführung dieser Motive zu sehen wären. Und schon schickt auch Bergman sein naives Rotkäppchen auf durch den tiefen Wald mit dem Ziel der Kirche. Doch das Bild verdichtet sich, der glänzende Schein der Dämmerung schwindet und Bergman deutet Unheil an und bevor man sich versieht, sieht man das bergmanisches Terrorkino. Bergman agiert perfide, zeigt die Vergewaltigung seiner symbolisierten Unschuld durch drei Brüder. Bergman erschüttert, ernüchtert und lässt Nykvist ungeschönt filmen. Das soll schließlich verstören. Das Mädchen wird seiner Unschuld beraubt und der Kreis schließt sich, die rohe Gewalt kommt zum Ausbruch und die Stille droht aufzubrechen. Es ist aber dann auch eine Ironie des Schicksals, dass diese Drei an des Teufels Tür klopfen werden. Hierbei: An der des Vaters Tür. Es sind Momente von Schuld und es gibt keinen Hinblick auf Sühne. Doch wo ist Gott? Bergman geht die Sache anders an als sein Nachfolger Wes Craven, der das zerstörte Familienbild schließlich als Groteske interpretierte, vielmehr zeigt Bergman Feingefühl für seine Charaktere, studiert und stützt ihre auf Konflikte und Selbstzweifel, der Glaube wird gebrochen, Gottes Beistand erbittet und die existenziellen Fragen prägnant gestellt.



Sein Protagonist des verzweifelten Vaters Töre (Der Mann, der Bäume zum fallen bringt: Max von Sydow) ist ein Ratloser wie auch Rastloser, einer Suchender nach Erlösung. Das erinnert sogar irgendwie an Kurosawa, Sydow wird zu etwas wie Bergmans Samourai, der seinem Kodex (= bei Bergman ist es sein Glaube, das Christentum) unterworfen ist. Bergman hinterfragt und desilussioniert diesen und reichert stilistisch sein Werk wiederum im besonderen - unkommentiert - mit Mystik, Symbolen und Metaphern an. Die geliebten Bergman-Motive finden auf bittere Weise zusammen, ob nun die Kernthematik der Gottesfrage, die menschliche Natur, der Tod, die Sehnsucht oder die Sexualität. So entschlüsselt Bergman auch erst kurz vor Schluss so manche Chiffren und deckt die familär-vielschichtige Konstellation seiner Figuren auf. Das ist ein Einstieg zum Terrorkino. Und am Ende erfolgt die Antwort: Auch ein Bergman schenkt Leben. Bergman verurteilt und vergibt dem gerechten Sündern. Er lässt den Quell des Lebens (Wasser) sprießen, reinigt die Sünden und erschafft. Nebenher für alle die es nicht wussten: Bergman als Regisseur seines Films, das ist hier übrigens das Synonym für Gott.



8.0 / 10

Autor: Hoffman

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