Freitag, 10. August 2012

„Ich bin Dein Kapitän, und diese Insel ist mein Schiff“ - Kritik: "King of Devil’s Island"

O: "Kongen av Bastøy", NO/SWE/FR/PL 2010 R: Marius Holst mit Stellan Skarsgård, Benjamin Helstad, Trond Nilssen und Kristoffer Joner

Nur selten schafft es ein Film bei mir, sich in einem Akt so gefühlsgeladen zu präsentieren, dass ich mir nach seinem Ablauf eine unmittelbare Wiederholung des Geschehenen wünsche – bei dieser norwegischen Arthouse-Produktion traf dies aber ein. King of Devil’s Island schildert Geschehnisse auf der Insel Bastøy – einer ehemals abgeschotteten Besserungsanstalt für strafauffällige männliche Jugendliche im Oslofjord. Bis in die 1970er behielt sie diesen Zweck bei, heute ist sie eine auf Anfrage kleine Haftanstalt für Strafgefangene mit guter Sozialprognose und tadelloser Führung.
Gegenwärtig immer wieder angeprangert als erstes „human-ökologisches“ Gefängnis der Welt, war sie in früheren Jahrzehnten eine karge und skrupellose Einrichtung für junge Menschen, die bereitwillig dafür eintreten mussten, ihre Jugend zu verlieren. Marius Holst thematisiert in seinem Werk, für welches er hierzulande den Publikumspreis auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck 2011 gewann, die Geschichte zweier inhaftierter Jugendliche im Jahre 1915. Der eine ist der gerade frisch angekommene Erling (Benjamin Helstad) und der andere der bald auf seine Entlassung hoffende Olav (Trond Nilssen) - vorbei führt dieser Weg aber nur an Direktor, ähem Herrn Direktor Bestyreren (Stellan Skarsgård, „Verblendung“). Ein Mann, der den Boden Bastøys mit Härte regiert und die Heilung des Bösen durch den Allmächtigen begründet, sich selbst aber als mindestens ebenso großen Erlöser ansieht; nur durch seine Hände und seine Erziehung, so glaubt er zu wissen, sind die Entlassenen zu den aufrichtigen Seelen gereift, als welche sie die Insel verlassen. Und nur seine Unterschrift kann entscheiden, wer bleibt und wer geht, wer geheilt ist und wen es noch zu „schleifen“ gilt – ihm liegt die Macht zugrunde über die Jugend seiner „Kinder“ zu dirigieren. „Ich bin Dein Kapitän, und die Insel ist mein Schiff“, lässt er C19 bei seiner Ankunft wissen. C19 ist im Übrigen keine früh entwickelte Robotertechnologie, es ist der Name, welchen Neuankömmling Erling fortan zu tragen hat; denn was sind Namen schon noch wert, nimmt man den Kindern auch sonst jedes Recht?
Die Erweckung des Grund auf ehrlichen, demütigen Christenmenschen in Dir - Kritik: King of Devil's Island
Vor Sichtung ging ich von einer etwas härteren Variante des schwedischen Films Ondskan (dt. Titel: Evil) aus – der seinerzeit Mikael Håfström den internationalen Durchbruch bescherte. Letztlich war Kongen av Bastøy, der hierzulande mal wieder reißerisch unter dem Namen King of Devil's Island vermarktet wurde, aber ein gänzlich anders ausgerichteter wie auch formal aufgebauter Film. Während in der Romanverfilmung von Jan Guillou das Lehrer-Schüler-Verhältnis auch in einem gegebenen Unterricht bestehen blieb sowie der oberen Schülerschicht eingeräumt wurde, über die unter ihn liegenden Klassenschichten Macht zu zelebrieren, ist im norwegischen Kongen av Bastøy weder der Unterricht Bestandteil des täglichen Ablaufs noch wird den Schülern irgendein Rang zuteil, der sie begünstigen würde. Das Zepter liegt allein bei den ‚Aufsehern‘. Würde man sie Lehrer oder Erzieher nennen, müsste man lügen – wie auch dann, würde man behaupten, es ginge ihnen um die Resozialisierung der Jugendlichen. Auf Bastøy geht es um Drill und um Disziplin. Und es geht um Lernprozesse; beim Essen darf nicht gesprochen werden, sonst bekommt man vor aller Augen ein Holzstück in den Mund gesteckt, Befehle von den Aufsehern sind unverzüglich auszuführen, ansonsten drohen Schläge auf die Hände oder den Rücken, unqualifiziertes Verhalten ist zu unterbinden, andernfalls öffnet die Isolationszelle ihre Pforten. Die Darstellung dieses rauen Alltags gelingt Holsts Spielfilm, auch durch die Unterstützung unterkühlter Bilder, ausgezeichnet. Schmerz und Angst spiegeln sich sowohl in den Gesichtern der ‚Sträflinge‘ als auch in den Gesichtern der Aufseher wider. Auch auf Bastøy bleiben Lügen, Ungerechtigkeit, Korruption und Bestechung nicht aus – und gerade letztere beide fallen nicht den zu resozialisierenden Sträflingen zur Last. So punktet die Handlung dieser geschichtsträchtigen Wiedergabe vor allem durch verschiedene Perspektiven. Im Normalfall natürlich durch die Augen Erlings und Olavs gesehen, wird auch nicht ignoriert, dass sämtliches Personal – darunter Direktor und Aufseher – ihre Existenz auf der Insel stationiert haben. Es geht hier nicht nur darum aufzuzeigen, wie brutal und schonungslos diese jungen Menschen drangenommen oder wie sie für schier sinnlose Aufgaben in die eisigen Kälte geschickt wurden; nein, in Kongen av Bastøy geht es um das Bestehen in einer Gruppe, die Nächte in den eiskalten Baracken und sogar um den sexuellen Missbrauch einiger Kinder. Es geht darum, wie diese Insel das eigene Leben zum Stillstand befördert. Unbequemer ist Kino selten. 


Die skandinavischen Akteure, die alle authentisch ihre Figuren ausfüllen, fördern diese Stimmung ungemein. Allen voran der charismatische Stellan Skarsgård als schwer einzuschätzender Direktor, bei welchem man sich nie sicher ist, auf wessen Seite er sich stellt, ist ein echter Trumpf für Holsts Drama. Skarsgård beweist das nötige Gefühl, um seine zwielichtige Person mal zurückhaltend, vollkommen sich der Welt entziehend oder regelrecht aufbrausend zu mimen. Auch Nebendarsteller Kristoffer Joner, der einen pädophilen Hausvater (Aufseher) verkörpert, ist in seiner Rolle sensationell – voller Ekel und später verlaufsergebend so voller Furcht und Feigheit. Grandios. Unerwähnt darf man die Jungdarsteller aber nicht lassen. Insbesondere die tragenden Figuren des Films werden von Trond Nilssen und Benjamin Helstad sehr gut gespielt, ihre sich aufbauende Freundschaft, nachdem sie sich anfänglich eher feindlich gegenüberstehen, ist ergreifend und vor allem sehr nachvollziehbar. 

Was mich stellenweise gestört hat, ist das trotz oder gerade wegen vieler Perspektivwechsel einige Personen unnatürlich wenig Beachtung erfuhren. Die Rolle der Astrid (Ellen Dorrit Petersen), der sehr viel jüngeren Frau des Direktoren, erfährt – trotz ihrer anfangs geheimnisvoll entfachten Skizzierung – kaum Entfaltung und wirkt szenenweise nur deplatziert und künstlich erweiternd. Das ist etwas schade. Weitere kleine erzählrhythmische Störungen kann man auch nicht verbergen, sollte man aber erinnernd an die komplexen Charaktere nicht zu ernst sehen. Kongen av Bastøy bleibt erstklassiges skandinavisches Kino. Hierzulande lief diese doch recht groß angelegte Produktion aus Norwegen mal wieder gar nicht oder nur sehr kurz in den Lichtspielhäusern. Das ist schade, denn sie hätte sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient und steht größeren Hollywood-Produktionen dieser Art in nichts nach. Uneingeschränkte Sehempfehlung.


7.5 / 10
Autor: Iso 

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