Dienstag, 26. März 2013

Godard Retroperspektive #4 - Klassiker der Extraklasse: Die Verachtung (1963)



»Ich verachte dich. Ich empfinde für dich nur noch Verachtung. Deshalb liebe ich dich nicht mehr. Ich verachte dich. Und wenn du mich berührst, wird mir übel.« - Man könnte meinen Jean-Luc Godards Filmschaffen berufe sich im Grunde nur auf eine bedeutende Tätigkeit: Der Abrechnung. Obgleich Nouvelle Vague-Kumpane Truffaut doch stets meinte, selbst nach der Entzweihung: »Ein Kunstwerk darf keine Abrechnung sein« - und doch schafft es Godard diese Prämisse stets verzückend zu verpacken. So auch bei »Le Mépris« aus dem Jahre 1963, vielleicht hier sogar am bissigsten und schönsten (ich mag Superlativen), es geht immerhin ums Filmemachen selbst. Der Titel »Die Verachtung« springt sofort ins Auge und braucht keiner ausführlichen Worte - auch dabei geht es ums Abrechnen und Godards Verachtung gegenüber dem bösen Hollywood und deren profitgierigen Gefolge von Produzenten. Eine Herzensangelegenheit für Godard, denen eins vor die Rübe zu knallen. Denn klassisch ist hier gar nichts, nicht mal das Intro: Die Credits werden erzählerisch verzehrt.



Es folgt das Zahn um Zahn Prinzip. Oder treffender: Auge um Auge, im Antlitz des Zuschauers. Pure Ironie. Der Kameratrick. Ein wenig spielerisch, das farbliche Kontrastprogramm wird getätigt. Bevor es dann schließlich auf in den ewigen (und unerbittlichen) Kampf gegen die Konventionen geht. Deren Ausgeburt des Bösen der Filmproduzent ist, Jack Palance als verkommenes Subjekt und Repräsentant dieser Gattung. Er ist das Zeichen des Bösen für Godard. Palance mimt zynisch (sogar mit zündender Sonnenbrille) den Kapitalisten, den Banausen, für den Kunst doch nur Kommerz ist. So ist dessen Präsenz spürbar in jeder seiner Szenen. Sein roter Alfa Romeo symbolisiert so frei seine Machtposition im Stück. Verwirklicht in einer Dreieckskonstellation, in seiner Schlichtheit atemraubend und mit Anleihen beim griechischen Drama. Dramaturgisch wertvoll. Die Bardot als Verachtende und Geliebte, sie fühlt sich verraten und verkauft. Sie bleibt resolut. Gar prostituiert für des Erfolges Willen fühlt sie sich, doch der wahre Verkaufte ist Michel Piccoli als Drehbuchautor. Er, der Narr, dessen Absichten nicht boshaft noch böswillig gesät sind und doch will er nicht erkennen, dass er unentwegt einem Pakt mit dem Teufel (= Hollywood) schließt. Goethe grüßt die Griechen. Und Godard erweitert um ein weiteres Mal sein Motiv der Liebe. Eigentlich bildet »Le Mépris« das Kontrastprogramm zu »Une Femme est une Femme« (1961), bei diesem war es die schwungvolle Lebensfreude einer Komödie, hier ist es das schwermütige und kunstvolle Melodram, welches Godard wohlschmeckend modelliert.


Dazu darf auch hier wieder fleißig definiert werden, wo dies später Samuel Fuller tat, gibt sich hier Fritz Lang selbst die Ehre als Heiliger und erläutert mit jedem Wort bedächtig und voller Weisheit die Facetten des Kinos und der Kunst. Godard (als Regieassistent Langs) präsentiert das Wort Langs als wahre Neuerkenntnis und setzt ihn (Lang) als Allwissenden in Szene. Es braucht nicht lange um zu erkennen: Godard verehrte Fritz Lang zutiefst - zu Recht natürlich. Der Meister Lang gibt sich sogar selbstkritisch gegen die Erwartungen, denn es nicht »Engel der Gejagten« (Ein Film aus Langs späterer, enttäuschend aufgenommener Hollywoodphase), sondern »M«, den Lang selbst bevorzugt und auch die biografischen Referenzen bei Lang zu Bertolt Brecht (»Hollywood«) werden keineswegs verleugnet, sondern reflektieren sogar Erkenntnis. Zudem gibt es auch Langs Wort in Buchform. Eine echte Hommage an Lang und nicht zu vergessen an das Kino selbst. Der Stern des Kinos scheint zu sinken durch den Kommerz der Produzenten, die die Kunst nicht anerkennen am Filmemachen.


Godard sinniert über Sinn und Verständnis des Kinos, im Grunde setzt dies Godards gesamtes Schaffen voraus. Er gewichtet seine Figuren sanft. Godard experimentiert mit Stilmitteln, weiß aber auch zärtlich zu inszenieren und hintersinnig abzurechnen, die große Stärke dieses Godards, obgleich die Schlichtheit der Dreiecksgeschichte auch somit ein gediegenes Erzähltempo beansprucht: Der Schauplatz von Capri, faszinierend - ausschweifend, im besonderen wenn Herr Coutard die Kamera für sein Handwerk beschlagnahmt - die Kamera schwebt - und hypnotisiert mit traumhaften Bildern, mit ausdrucksstarker und prächtiger Ästhetik. Dazu der Score, der melodisch-melodramatische Score von  Delerue und schon ist man verzückt. Mit der Off-Voice wird nebenbei einmal das Innenleben der Protagonisten offen gelegt und ihre Konflikte mit sich selbst. Und der Hintergrund der Odyssee bei Langs neuen Film ist sicherlich nicht ohne Hintergedanken gewählt, eine Odyssee, nicht nur die Homers, die des »Cinema«. Außerdem nutzt Godard hier schon das Film im Filmprinzip. Die Konflikte und Charaktere der Odyssee reflektiert er gleichzeitig auf die Beziehung seiner Charaktere. Nur zu liebst philosophiert Godard darüber, da dürfen auch Erwähnungen von Ray, Chaplin und Griffith nicht fehlen.



Ein Dokument für und um die Geschichte des Kinos. Die Geschichte zwischen zärtlichen Eigenwillen und filmischen Ausbrüchen, voller Schönheit, voller roher Emotion. Das Leben und sterben wie auch das Leben und Lieben. Trauer und Enttäuschung? Und ein postmodernes Design gibt es zu bewundern. Godards Liebe zum Kino ist unverkennbar, diese Vernarrtheit, wenngleich man das auch als hochtrabende Preisung des Kinos zu bezeichnen kann. Jedoch macht dies die Angelegenheit wohl auch gleichzeitig faszinierender, wenn Godard fast überschwänglich Metaphern und Symbolik zum Einsatz bringt, sodass griechische Götterstaturen als Spiegel der Emotionen und Zustände seiner Protagonisten dienen, liebevolle Detailarbeit steckt dahinter. Der Film im Film und »Le Mépris« -  Godard über das Filmemachen. Selbst wenn das tragische Verhängnis der Liebe statt zum Untergang, zur Wiedergeburt führt, kurzum ist so Godards Botschaft: Es lebe das Kino!



8.5 / 10


Autor: Hoffman

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen