Sonntag, 29. April 2012

Nördliche Puppenbekanntschaften - Kurzkritik: "Lars und die Frauen"


Lars (Ryan Gosling) ist anders. Schüchtern und mit schwerfälligem Lächeln beißt er sich durchs Leben, während er kaum Freunde hat und ein sehr verkompliziertes Verhältnis zum anderen Geschlecht pflegt. Sein Bruder Gus (Paul Schneider) und dessen Frau Karin (Emily Mortimer) sorgen sich zunehmend um den jungen, alleinstehenden Mann, der sich in den eigenen vier Wänden, die nicht mehr als eine Garage zieren, verbarrikadiert. Letztlich scheint aber doch alles gut, denn Lars hat eine an der Angel; sie sei aus dem Internet und hieße Bianca, sei an den Rollstuhl gebunden und spräche nicht viel, liebenswert sei sie aber auch,  plaudert er fast explodierend vor Aufregung. Als Lars seine ‚Errungenschaft“ beim familiären Abendmahl präsentiert, ist es jedoch nur einer, der sich erleichtert freut: nämlich Lars selbst. Karin und Gus sind hingegen eher schockiert über die mitgebrachte ‚Dame‘. Weil Bianca ist eine Gummipuppe…

Klingt schräg? Na klar. Und mal im Ernst: Wer schaut sich diesen Film nicht an, um etwas schräges Einfühlsames zu erleben? Nur ist „Lars und die Frauen“ letztlich nicht mehr als ein gestelltes, honigumwobenes Pipitränen-Theater auf Telenovela-Soap-Niveau, dass die Gemeinschaft im Chor singen lässt und Lars doch tatsächlich filmübergreifend mit einem Stück Plastik therapiert – ohne Einwand. Wenn die fürsorgliche Biobrotdorfärztin meint, man müsse Lars einfach sein Spiel spielen lassen, bis es eben aus ist, willigt die Gemeinde natürlich ein. Eine Parabel planloser Dämlichkeit. Ach, wie schön und ich frage mich: Wo ist das Klo? Es ist nicht scheußlich, will ein Film herzerwärmend sein, es ist aber ekelhaft, will er ein Teddybärenbild vermitteln – zumindest, wenn er gesellschafts- und realitätsbezogen sein möchte. Außergewöhnlich ist dieser Film aber – lässt man die skurrilen Heilmethoden einmal außer Acht – nicht im Geringsten. Es gibt keinen Gegenspieler und daher auch keinen Gegenwind. Lars redet mit seiner Puppe, als ob sie ein Mensch wäre, Gus pflegt die Puppe, als ob sie ein Mensch wäre und Karin schminkt die Puppe, als ob sie ein Mensch wäre. Unnormales wird normal und schlussendlich beliebig melodramatisch. Bewusst ist mir, dass es sich hierbei um einen seelischen Ersatz handelt. Noch nicht einmal eine prinzipielle Partnerin stellt Bianca für Lars dar. Für ihn ist sie von Anfang an er. Ein irgendwie verdrehtes, nicht abwegiges Spiegelbild. Auf emotionaler Distanz bleibt mir diese grundinteressante Thematik aber trotzdem, weil ist dieser Film letztlich nicht mehr als das Tagesgeschehen einer glücklichen wie bekloppten Kuckuckswelt, in der ich um Himmels Willen nicht leben wöllte, weil man sich nicht einmal auf die fachkräftigen Ärzte verlassen kann. „Lars und die Frauen“ ist unsympathisch, weil er so sympathisch ist. Die aufgedrückte Glasklar-Botschaft im Stile von „übe Verstehen und Geduld, lerne zu erkennen, dass ein niemand so ist wie du und ich“ ist – fachmännisch und kulant gesagt – lobenswert; leider aber auch ein bruchfestes Siegel für altertümliche Lehrweisheiten aus der Mottenkiste. Wer ein Faible dafür hat und weint, wenn die Ohren was Wichtiges vernehmen (müssen), der sollte sich gewiss sein: Angucken!

Schauspielerisch ist „Lars und die Frauen“ ein solides Beispiel dafür, dass Ryan Gosling ein talentierter junger Mann ist, der seinen hier verkörperten Lars sehr behutsam und respektvoll gegenübertritt. Einen neugöttlichen Kraftakt habe ich jedoch nicht entdecken können, was wohl mein Eigenverschulden ist, weil ja Ryan Gosling draufsteht. Ganz schnell vergessen sind hingegen die zahlreichen Nebenpuppen – ganz im Gegensatz zu Bianca, die auftrumpfen kann. 
Wer auf verrückte Leidensgeschichten steht, auf Klischees – trotz origineller Gummipuppe – nicht verzichten kann und Gosling sehen möchte, wie er Mut zum Schnauzer zeigt, dem sei „Lars and the Real Girl“ wärmstens empfohlen. Alle anderen müssen sich diese Tristesse nicht geben und können damit auch gut wissend bleiben, dass ein an Wahnvorstellung erkrankter Mensch, mag er noch so schrullig-lieb sein, vor allem eines braucht: ärztlich professionelle Hilfe.


4.5 / 10 
Autor: Iso

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