Donnerstag, 31. Januar 2013

Ein Karussell der Gefühle - Klassiker der Extraklasse: Kinder des Olymp (1945)




Es ist zweifellos beeindruckend, wie es Marcel Carné schaffte selbst unter schwersten Bedingungen, während der deutschen Besatzung, dieses imposante Stück Zelluloid zu inszenieren. Das Szenenbild von Alexander Trauner scheint trotz diesen Verhältnissen makellos gestaltet zu sein und die Zeitepoche des 19. Jahrhunderts ist vorzüglich rekonstruiert. Kaum merklich scheinen jene Schwierigkeiten bei der Produktion, denn die Ausstattung verzückt und die Massenszenen sind glänzend in Szene gesetzt. Die Szenerie ist so elegant wie Carnés Regie. Wie schon festgestellt, reflektiert Carné dabei das 19. Jahrhundert, auch wenn es sich hierbei um poetischen Realismus handelt. Das Jahrhundert der Romantik, wobei ich mich nur bedingt darauf beziehen möchte, vielmehr auf das Synonym des 19. Jahrhunderts, das Jahrhundert der Widersprüche. Denn ganz abwegig scheint letzter Begriff bei Carnés »Kinder des Olymps« (1945) nicht. Denn hier trifft Rationalität auf melodramatische Romantik, die Traumwelt des Theaters auf die harte Realität. Daraus entwickelt Carné nun ein leibhaftiges Karussell der Emotionen und Sehnsüchte, die Liebe als ausschlaggebendes Motiv der Handlung in der Welt von Schauspielern, Gaunern, Halunken, Gauklern und Ganoven.



Das Stück spielt in Paris, verständlicherweise, es ist ja auch hier die Stadt der Liebe. Eine Frau (Arletty) zwischen vier Männern. Zum einen dem Pantomimen Baptiste (Jean-Louis Barrault), der sie zutiefst liebt. Er scheint der Richtige zu sein, doch wird er bereits von einer Anderen geliebt, die er aber im Gegenzug nicht lieben kann. Wird er für Carné etwa zum tragischen Helden? Zum anderen den schneidigen und belebten Schauspieler Frederic, der sprunghafte Prediger seiner eigenen Kunst (= des Schauspiels), der mit den großen Worten und großen Selbstbewusstsein prallt, dass man fast von einer gewissen Hochmütigkeit seinerseits sprechen will. Kurz: Der Entertainer. Dann der kühle Intellektuelle und Autor Lacenaire, ja das ist eine ambivalente Persönlichkeit. Wahre Liebe empfindet er nicht. Galant ist er im Auftreten, eiskalt ist er ein Mörder aus Passion und stolzer Dieb, aber auch ein Mann tragischer Natur, der sein eigenes Leben als Theaterstück inszeniert bis zum Schluss - und darüber hinaus hervorragend dargestellt durch Marcel Herrand. Und dann aus dem Nichts, der Graf, der ins Spiel springt, dem es nach Liebe bedarf. Ein verliebter Adeliger, der in ihr die Schönheit in einer hässlichen Welt sieht. Seine Liebe wird zwar nicht erwidert, doch die Eifersucht trägt er mit sich, wenn es sich um das Seine handelt. Es beginnt ein Wechselspiel.




So porträtieren die Charakter einerseits ein Rollenklischee, werden von Carné vertieft und erfahren dadurch eine tiefer gehende Charakterzeichnung, wenn Carné dabei zudem auch noch mit genau diesen Rollenklischees und Erwartungen spielt, ist das klug erdacht, das setzt für sie sowohl Enttäuschung als auch Hoffnung voraus. Das Werk ist in zwei Akte unterteilt. Der Erste mit der Verlassenden, der wahren Liebe, dem Verführer, den ungenutzten Chancen und der Pointe. Zum Zweiten mit Zeiten, die sich geändert haben als konsequente Weiterentwicklung der Geschichte, denn auch die Figuren haben sich über die Jahre nun verändert. Auch dies ist den Produktionsbedingungen geschuldet, beim Dreh gespalten in zwei Filme und später vereint. Dabei entpuppt sich auch als die große Stärke des Films selbst das Wort, oder umfassender der Dialog, geschliffen geschrieben mit viel Feinheit. Teils mit Elan, Stil, erfrischender Spontanität, aber auch mit Lakonie, dazu genussvoll inszeniert zwischen Leichtfüßigkeit und tiefer Melancholie von Carné, so treffen auch hier die Widersprüche zusammen, während die sorgfältig gefilmten Bilder die poetische Anklänge der Geschichte noch bestärken. Aufmerksam beobachtet Carné aber auch das Theater in seiner traumhaften, eigenen Wirklichkeit von Freiheit. So wird das Theater zum Motiv des Films und Carné´s Film zu einer Hommage an dieses, bis er dann zuletzt die Phantasie des Theaters und die ernüchternde Realität aufeinanderprallen lässt und sie mit einem Schuss großer Dramatik und tragischer Ironie des Schicksals kommentiert, schließlich beginnt sich der Vorhang wieder zu senken, denn das Spiel ist vorbei - und der Zuschauer? Der ist schlichtweg begeistert.



8.5 / 10

Autor: Hoffman


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