Mittwoch, 12. Februar 2014

Truffauts menschlicher Todesengel - Klassiker der Extraklasse: Die Braut trug schwarz (1968)



Truffaut hat sich mit »Le Mariée était en noir« dem Spannungskino Alfred Hitchcocks verschrieben. So ist dieser Film nach William Irish (von dem schon Hitchcock einen Roman verfilmte) in gewisser Weise das Produkt der fruchtbaren Interviews von Truffaut mit dem Meister, mit welchem er zeigt, was er gelernt hat und das er auch weiß das Gelernte umzusetzen. Hier ist der Einfluss von Hitchcock von den Einstellungen bis zur stimmungsvoll-schummerigen Musik, die Hitchcocks (ehemaliger) Stammkomponist Bernard Herrmann lieferte, am deutlichsten und trotzdem ist Truffauts Film eigenwillig. Der Beginn ist mysteriös: Eine Frau (präzise: Jeanne Moreau) begibt sich direkt auf ihren Weg, sie hat ein Ziel und trägt schwarz. Ihr Name ist Julie Kohler. Und schon hier gelingt Truffaut der Suspense, denn man fragt sich: Was geht hier vor? Wer ist sie? Warum tötet sie? Truffaut gibt sich dabei reizvoll-geheimnisvoll und undurchsichtig.



Sie ist eine Frau, die einen Auftrag (= ein persönliches Anliegen) hat und abrechnen will. Zunächst fragt man sich, wieso sie das tut? Erst beim zweiten Opfer enthüllt er das Geheimnis dieser Frau, wenngleich er dabei immer noch Fragen offen lässt und sie erst später (vollständig) offen legen wird: Sie trug einst weiß und wollte heiraten. Ihr Mann wurde bei der Hochzeit nach der Trauung vor der Kirche erschossen. Fünf Männer sind für seinen Tod verantwortlich. Der Tod ist hier ein zentrales Motiv des Films. Es geht um die Obsession einer Frau, um eine Frau, die besessen ist vom Tod, in dem Sinne, dass sich an denen rächen will, die den Tod ihres Mannes verschuldeten. Danach erzeugt Truffaut einerseits durch die Beziehungen zwischen den Figuren die Spannung, aber ebenso durch die Frage, wie Julie es tun wird. Wie sie diese Männer töten wird. Die Spannung liegt hier meist in der Situation. Es ist ein fatalistischer Film könnte man meinen, in dem der Tod eine Vorherbestimmung ist für diese Männer. Es ist eine Reise ohne Ausweg und ohne Reue, den Truffauts Protagonistin kompromisslos bis zum Ende gehen wird. Truffaut schildert diese irreale Reise seiner Protagonistin präzise und klar, während Coutard stilvolle Farbbilder (= Truffaut bereute es letztlich nicht in Schwarzweiß gedreht zu haben; da die Farbbilder dem Film sein Mysterium nehmen würden) einfängt. Sinn und Nutzen stehen für ihn dabei im Vordergrund, weniger der Realismus. Er legt keinen Wert auf die Wahrscheinlichkeit der Dinge. Er schert sich nicht darum und ist sich dem wohl bewusst, so ist es manchmal ansatzweise auch durchaus gewitzt von ihm eingefädelt. Und doch wird die Geschichte bodenständig erzählt.



Diese fünf Männer, das sind aber auch keine Bösewichte, in aller erster Linie sind sie Menschen. Menschen, die ein alltägliches Leben führen, die mit der Miete im Rückstand sind, sich selbst verloben wollen, Kind und Familie haben oder Künstler sind. Nur einer von ihnen ist ein wirklicher Ganove. Truffaut ordnet jeden von ihnen gewisse Attribute zu. Charles Denners Charakter sticht dabei heraus, da er von Julie besessen scheint. Vielleicht liebte er sie (oder doch nur ihre Statur?) wirklich. Diese Fünf, das sind Männer, die die Frauen begehren und von Julie sofort angezogen sind und sich verführen lassen. Die denken, sie (und natürlich ihre Beine) wären magisch. Sie sind schwach gegenüber dieser Frau und glauben alles (oder wollen alles glauben). Sie sind dennoch Schuldige in der Unschuld. Sowieso ist hier bei Truffaut die Frage von Schuld und Unschuld eine ambivalente Angelegenheit. Weiß wird zu Schwarz und Truffauts Protagonistin, mit der unter anderem auch das Motiv der Femme Fatale innovativ verpackt, ist eine Unschuldige, die schuldig wird. Julie Kohler ist ein eiskalter (Todes-)Engel. Eine Betitelung, die mir passend scheint um ihren zweigesichtigen Charakter bündig zu umschreiben, zum einen ist sie anonym und abweisend, aber auch leidenschaftlich, sie ist distanziert wie auch verletzlich und ebenso handelt sie gleichgültig wie auch menschlich. Truffaut schafft es dadurch diesen Charakter sympathisch zu machen, sodass man Mitleid für sie empfindet. Sie ist letztlich eine Frau, die von Schmerz, Trauer und Wut gezeichnet wird. Eine Frau, die sich nach dem Absoluten sehnte und nun dieses Absolute repräsentiert, zum einen, weil sie ihrem verstorbenen Ehemann ewige Treue halten wird, zum anderen weil sie ohne Umschweife ihren Rachefeldzug beenden wird. Jedoch ist die Liebe sowie das Glück damit für sie eine Utopie geworden, etwas, was sie nicht mehr erreichen kann. Das Töten bringt ihr keine Genugtuung. Sie bleibt einsam. Sie ist eine Frau, die an diesem Tag, als ihr Mann starb, bereits mit ihm gestorben ist.




8.0 / 10


Autor: Hoffman 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen