Donnerstag, 27. September 2012

Der irrsinnige Tanz der verlorenen Seele - Kritik: Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen





»It´s not remake. I never seen the "Bad Lieutenant" by Abel Ferrari. I do not know who this man is.« - Obgleich ich mir nicht mal sicher bin, wie oder inwiefern dies Werner Herzog meinte, so bleibt es seinerseits zweifelsfrei eine doch gekonnte, wenn auch missverständliche, Provokation, auch weil aus Abel Ferrara bei Herzog schnell der Ferrari wurde. Was ich noch gesagt haben sollte: Das oben aufgeführte Zitat ist der exakte Wortlaut von Herzogs Worten, falls sprachliche Differenzen betreffend Herzogs Form entstehen sollten, bitte an ihm, nicht an mich wenden. Vielleicht war dies auch auch nur ein cleverer Marketingtrick seitens Herzog. Wer will schon darüber urteilen, wenn Herzog präsentiert und hinterfragt: Wissen Sie denn was das sind, Konventionen? Was sind das? Herzog formuliert und bittet diese tunlichst zu vermeiden, auch in Hollywood. Herzogs »Bad Lieutnant« aus dem Jahre 2009, Herzogs Bruch mit der Filmindustrie und deren Normen. Herzog wird strikt: Sie müssen gebrochen werden! Und geht enthusiastisch ans Werk.



Für Herzogs Verhältnisse wieder richtig experimentierfreudig als absoluter, filmischer Konventionsbrüche, in dem Herzog das Unkonventionelle im Konventionellen sucht (ein bekanntes Motiv), weshalb der Plot fast schon irrelevant und abstrus nach Konventionen geordnet und dramaturgisch widersprüchlich konstruiert sein mag, nur um im Zuge dessen diese mit größtmöglichen Vergnügen zu hinterfragen oder einfach nur ins absolute ad absurdum zu führen. Willkommen in Werner Herzogs Film. Denn damit referiert Herzog nicht nur großflächig sich selbst, sondern nimmt mehr noch expliziten Bezug auf sein eigenes Schaffens. Erkannt? Herzogs Film ähnelt wohl demnach vielmehr einer Neuordnung seines »Aguirre« (1972) denn einem Remake von Ferraras Film - in erster Linie. Tauscht den Amazonasdschungel gegen den Großstadtdschungel und wütet fleißig mit Sinn- und Orientierungslosigkeit, wie einst, bloß dieses Mal mit Hollywood im Gepäck. Wenngleich »Bad Lieutenant« eine ganze Facette an verschiedenen Interpretationen erlaubt.

Hingegen mutet es anderswo fast schon so an als würde Herzog seinen Kritiker und Kollegen Abel Ferrara mit jeder Szene, mit jeder Absurdität, mit jedem dramaturgischen Bruch verspotten, dass es fast einer filmisch formulierten Kritik an Ferraras Werk gleicht - wobei sich dies auf reine Spekulation stützt, wie man Herzogs Worte auslegt. Während Ferrara in seinem »Bad Lieutenant« noch so etwas wie den »Feel-Bad-Movie« (mit christlichen Erlösungsmotiven) definierte, ironisiert Herzog dieses Verfahren. Wenngleich dieser Vergleich durchaus in Frage zu stellen sei, doch Herzogs Film tut dies schließlich auch. Demnach: Legitim. Ferraras Lieutenant suchte noch nach der Sinngebung von Schuld und Sühne, während Herzog diesen Akt vollkommen außer Kraft setzt. Er sucht nicht, er lässt treiben. Reflektiert und verherrlicht die Sinnlosigkeit der Welt, agiert ohne jeglichen Wert - mutet belanglos an und unterhält und fasziniert dabei doch trotzdem ungemein, wobei dies selbstredend auch nur ein subjektiver Zustand meinerseits ist.

 

So funktioniert (zumindest subjektiv) Herzogs Film - wie ironisch - selbst ohne jegliche Einordnung einer Genreklassifizierung, Herzog inszeniert jenseits der Grenzen, richtet sich energisch bei seinen Konventionsbrüchen an Reibungsflächen. Herzog treibt seine Spielchen mit Zuschauer und Erwartungshaltung - enttäuscht sie, ignoriert sie, driftet ins absurde. Und lässt währenddessen die Moral versauern, derweil der Zuschauer mit Korruption, Prostitution, Glücksspiel, Abgründen sympathisieren darf, an sich scheint bei Herzog eh die symbolische Sünde stets omnipräsent, durch Randnotizen und Standorte. Stets fokussiert auf den ironischen wie auch teils zynischen Unterton seines Films wie auch auf seinen Protagonisten, welcher für Herzog selbst nur ein weiteres bekanntes Motiv seines Schaffens ist, der personifizierte Wahnsinn. Aha! Sein Protagonist sowohl zur Reflexion seines eigenen Films und als auch dessen Staus Quo.

Der Wahn im Rausch, alles harmoniert, widerspricht sich aber zugleich. Ein paradoxer Film. Welchen er durch Tunnelblick durchschauen lässt. Dieses Mal mit Nicolas Cage, der darf Over the Top agieren, amüsieren, explodieren, implodieren, lachen, zerreißen, cholerisch und als Karikatur seiner selbst dienlich sein und zum Ende hin neurotisch, ausschweifend und exzessiv spielen - also alles das, was Cage kann. Auch mit Verweis auf »Bringing Out The Dead«. Herzog konnte schon immer solch impulsive Akteure dirigieren. So wird korrupter, drogensüchtiger, abdrehter Cop (alias Nicolas Cage) schnell zur Sympathiefigur - und das ganz ohne Sinn. Wunderbar! Wie auch die Besetzung der Nebenrollen (mit Val Kilmer) und herrlich, stereotypischen Charakterbildungen, Herzog verführt. Unterdessen die Kamera (wie Herzogs gesamter Film) Kontraste dazu bildet, auch hier zwischen erleuchtend, klangvollen und erstrahlenden Bilder New Orleans und einer düsteren Ernüchterung, so oder so atmosphärisch verpackt und mit zeitweiliger Film noir-Referenz versehen und in Aktion stets dicht am Protagonisten.




Schon beachtlich, wie es Herzog schafft in seiner Ambition seines absoluten Regelbruchs konsequent seine Laufzeit durchzuhalten - fraglos in seiner Dramaturgie zersträubt, den Zuschauer irritierend und verwirrend, doch aus Chaos kreiert Herzog Amüsement, inszeniert unangepasst und stellt so eben auch sein eigenes Werk mit jener eigensinnigen Art und dessen Sinn in Frage. Sähen wir es theoretisch könnte man sogar meinen Herzog rechne hierbei mit der Sinnlosigkeit eines Remakes, im besonderes des seitens Hollywoods, ab, falls ja ein brillanter Schachzug seinerseits. Andererseits: Bedeute dies, Herzog wäre sogar gar ein Fan von Ferrara. Als Höhepunkt dieses Wahnwitz folgen sonnig-perspektivische Leguane im absurden Format und tanzende Seelen, den Ideenreichtum Herzogs sollte man nicht unterschlagen. Wenngleich man sein Verfahren hierbei dennoch auch kritisch sehen könnte, im besonderen wenn man die filmisch-reflektierte Sinnlosigkeit in einer Laufzeit von geschätzten 122 Minuten zu spüren bekommt, gerade hierbei hätte dies Herzog doch wesentlich prägnanter (wie früher) formulieren können, zwar angepasster, aber auch in seiner Ambition verständlicher. Jedoch auch dieser Stichpunkt revidiert auf seine Weise. Denn wo Seelen tanzen, folgen ein Schuss Tragik und ein letzter Seitenhieb der Tristesse, bevor Errettung geboten wird - aus dem Nichts - purer Zufall? It´s a strange World. Pure Ironie. Und kurzweilig war er dann doch irgendwie, samt Nachwirkung und es folgt das Prinzip: Manchmal ist sinnlos, sinnvoll und das ist manchmal das Beste daran. Sinn? Es gab nie einen Sinn.



7.0 / 10

Autor: Hoffman

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