Samstag, 17. August 2013

I believe I can fly.. - Kritik: Die Fliege (1986)


Ich beginne diesen Kommentar mal mit einem Zitat, das ich in der Wikipedia entdeckt habe:

„Aber das, was David Cronenberg aus der ‚Fliege‘ gemacht hat, scheint mir eine neue Stufe krankhafter Phantasie. Hier ist eine Stufe erreicht, die mich nötigt, nach einem Verbot dieses und ähnlicher antimenschlicher Werke zu schreien. Wenn ich allein schon lese, daß Cronenberg für diesen Irrsinn alles in allem 15 Millionen Dollar zur Verfügung standen, wird mir speiübel.“

– Rolf Giesen: Sagenhafte Welten – Der phantastische Film, S. 308, München, 1990


Auch wenn ich von Verboten nicht viel halte, kann ich Herr Giesens Reaktion absolut verstehen, und das auch noch fast 30 Jahre nach erscheinen des Films. Dieser Film ist wirklich krank, was Cronenberg hier macht, hebt das ganze Genre auf eine neue Stufe und sucht noch immer seines Gleichen. Das "Kranke" oder "Abscheuliche" an seiner "Fliege" sind dabei nicht mal die blutigen Effekte. Nein, es ist, wie Cronenberg diese Geschichte erzählt. Cronenberg nähert sich der Geschichte des idealistischen Wissenschaftlers Seth Brundle, der durch ein extrem doofes Missgeschick beim Testen seiner neuesten Erfindung - einer Maschine, die es ermöglicht, Materie von A nach B zu teleportieren - mit einer Fliege, die sich zufällig in der Maschine befand, fusioniert, sehr ambivalent. Einerseits hat man das Gefühl, als wäre Cronenberg selbst eine Art verrückter Wissenschaftler, der von oben auf das Kammerspiel, welches der Film zu großen Teilen ist, hinabblickt und Brundle(fliege)s Niedergang mit großer Neugier verfolgt, und es auf einer analytischen Ebene betrachtet. Er zeigt sowohl die positiven Aspekte der Verwandlung, als auch die negativen, ohne sich dabei genau zu positionieren, doch am Ende ist sein kleines Experiment tot - das ist von Anfang an, ohne dass es jemand aussprechen muss, klar. Das hat schon schier etwas Gemeines oder Bösartiges, wie Cronenberg mit seinem Protagonisten umgeht, und dem Zuschauer dabei Stück für Stück vermittelt, dass der Mensch durch eine fortschreitende technische Entwicklung selbst irgendwann zu einer Art Auslaufmodell wird, das durch etwas Neues - möglicherweise einer "Brundlefliege" - ersetzt werden muss. Der ganze Film nur ein krankes Experiment? Natürlich nicht. "The Fly" ist auch eine Liebesgeschichte. Brundle verliebt sich kurz vor seinem missglückten Experiment in die Journalistin Veronica Quaife, die aus seiner neuesten Erfindung zunächst noch eine große Story machen will. Veronica ist es auch, die Brundle, als dieser noch begeistert von den ersten Auswirkungen seiner Teleportation ist, darauf aufmerksam macht, dass er sich verändert hat, dass er etwas Anderes geworden ist. Und je weiter diese Verwandlung fortschreitet, desto eher wird ihr klar, dass Seth Brundle gar nicht mehr existiert. Dennoch empfindet sie noch Gefühle für ihn, weshalb sie bis zum Schluss an ihm hält, und ihm erst, als er nach einer zweiten misslungenen Verwandlung zu einer Mischung aus Mensch, Fliege und Maschine geworden ist, und nicht mehr lebensfähig ist, den Gnadenschuss gibt.



Das ist der wahre Horror in "The Fly". Man will es irgendwie nicht wahrhaben, dass dieser idealistische Wissenschaftler, der nicht mal sonderlich an Profit interessiert ist, wegen einem lächerlichen Zufall zu irgendeinem Menschfliege-Ding wird. Das ist wirklich noch Horror, der sich für seine Figuren interessiert. Ein regelrechtes Horrormelodram mit Nachwirkung, das einen auch noch nach dem Sehen beschäftigt. Denn während des Sehens war ich als Zuschauer mehr daran interessiert, wie sich Brundle denn so macht, was als nächstes kommt und wie weit es Cronenberg noch treibt, ehe er sein (misslungenes) Experiment aufgibt. Erst wenn der Abspann rollt, wird allmählich klar, was das für ein vielschichtiger Film ist. Sowohl Analyse, als auch Melodram und auch eine Art Warnung, dass man den technischen Fortschritt nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Und wenn man mal genauer überlegt: Gibt es solche Fälle wie Brundlefliege nicht schon längst in der Realität? Künstliche Gelenke; Prothesen, die es ermöglichen, schneller zu laufen; Organtransplantation; Präimplantationsdiagnostik; etc. pp. Ist der klassische Mensch schon zum Auslaufmodell geworden?


Diese Fragen in Kombination mit einer emotionalen Bindung zur Geschichte machen "The Fly" nach wie vor zu einem der intensivsten, klügsten und besten Horrorfilme überhaupt. Ein Film der einfach so viel besser ist als es das Genre von ihm verlangt. Solche Horrorfilme gibt es mittlerweile leider viel zu selten, obwohl ein Film wie "The Fly" eigentlich jeden ansprechen sollte. Und es ist auch verständlich, dass das bis heute Cronenbergs kommerziell erfolgreichster Film ist, da er zuvor und danach nicht mehr so viele Zuschauer erreichen konnte. Egal ob Horrornerd, Filmsnob oder Gelegenheitsschauer; "The Fly" lässt niemanden kalt. Wohl niemand wird sich nach dem Film in seiner eigenen Haut wohlfühlen. Irgendwie beruhigend, wenn man bedenkt, wie viele Folterfilme mittlerweile versuchen, ihre Brutalität durch irgendeinen Pseudosubtext zu rechtfertigen.


8.0/10

Autor: MacReady



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