Donnerstag, 12. April 2012

Du erträumst dir Erkenntnis und zersplitterst dein Leben – Kritik: „25 Stunden“


Mit der Gewissheit, die nächsten 25 Stunden würden meine letzten sein und der Ehrfurcht im Nacken, das Gesetz würde mich sieben Jahre von meiner ohnehin ablaufenden Frist auf diesem gottverfluchten Planeten wegsperren, wöllte ich nicht leben. Keine Ahnung, was ich machen oder verweigern würde. Wahrscheinlich käme mir in den Sinn, es wäre eine gute Idee jeden tickenden Zeigen zu meiden; entfernen würde ich mich vom Fernsehen, vom Radio und von den mich einkesselnden Wänden. Ich glaube nicht, ich könnte einfach nur dasitzen, während ich irgendwas in der Glotze schaue. Genug Zeit würde mir bleiben, um überhaupt darüber nachzudenken, weshalb ich dort hingehe, wo ich hingehe und im Fall von Monty Brogan (Edward Norton) würde ich mich obendrein fragen, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, dass die folgenden sieben Jahre an mir vorbeirauschen werden wie ein unaufhaltsamer Zug der Zeit.  

Zum Glück bleibt das nur mein Gedankengang – nicht mehr. Will ich doch hoffen. Für den Drogenhändler Monty wird dies aber zum erwartenden Schicksal. Sieben Jahre muss er sitzen, nachdem er von einer unbekannten Person gelinkt wurde. Zum Anbruch der 26sten Stunde muss er seine Haftstrafe antreten. Die Zeit gewährt ihm kein Erbarmen. Nur noch ein Tag bleibt ihm, um sich von seiner Frau, seinem alternden Vater und seinen Freunden zu verabschieden, mit dem Wissen, sie würden in sieben Jahren nicht mehr da sein. Jeder lebt sein Leben weiter oder verliert letztlich den Kampf mit ihm. Und obwohl man fast nie etwas dagegen tun kann, fühlt man sich seinen Ängsten sozialer Entgleisung umso hilfloser, je weniger Möglichkeiten sich einem zur Abwendung bieten. Denn nur nach allen Kraftakten kann man sich sagen, alles getan zu haben, was man hätte tun können. Und genau diese Angst hat Monty. Sieben Jahre wird er von denen weggezerrt, die ihm etwas bedeuten, sieben Jahre kann er nichts weiter machen, als zu hoffen, dass kein unüberwindbares Ereignis eintritt. Aber er weiß, das wäre Blasphemie. Monty ist kein gewaltvoller Schläger, keiner, der die Waffe für sich sprechen lässt. Ihm ist klar, dass das, was er gemacht hat, falsch war, würde es aber vermutlich wieder tun, könnte er seiner Frau und sich damit einen besseren Lebensstandard bieten. Sich im Auge des schmutzigen Geschäfts die würdevolle Loyalität zu bewahren, und sie zu nutzen, ist schwer, aber Monty machte diese zu einem Teil von sich selbst, zu dem er auch stand, der ihm wichtig war und wichtig ist.

Seine letzten Stunden auf freien Füßen, noch sich wehrend gegen die Fesseln des Knastes, werden nun zu einer Suche nach dem, der ihm das angetan hat – nach der singenden und stinkenden Ratte im ehemaligen Geschäftskreis. Oder weilt sie doch unter den Freunden? Fakt ist, Monty will es wissen, hasst sich selbst dafür, nichts von seiner bröckelnden Fassade geahnt zu haben. Er scheißt auf die Welt und schließt mit ihrem dreckigen Geruch ab, den er zukünftige sieben Jahren nur vom feucht-dreckigen Kachelboden des Gefängnisses, sich bückend nach der Seife aufnehmen kann. Monty kotzt dieser verfluchten Welt in dieser verfluchten Stadt in diesem verfluchten Spiegel in dieser verfluchten Kneipe seines Vaters noch einmal ins Gesicht. Rücksichtslos und ohne Gnade schlürft er ihr den Lebenssaft aus den Knochen ihrer Eroberer ([…] Fuck the squeegee men dirtying up the clean windshield of my car - get a fucking job! Fuck the Sikhs and the Pakistanis bombing down the avenues in decrepit cabs, curry steaming out their pores stinking up my day. Terrorists in fucking training. SLOW THE FUCK DOWN! Fuck the Chelsea boys with their waxed chests and pumped-up biceps. Going down on each other in my parks and on my piers, jingling their dicks on my Channel 35. […]). 


Über mehrere Minuten geht dieser scheinbare Endlosmonolog, der zu den verrücktesten und konsequentesten zählt, den die jüngere Filmgeschichte geschrieben hat. Erbarmungslos rechnet Monty mit der Welt ab – selbsthassend und einsehend. Eine Offenbarung. Leider auch die einzige, die „25 Stunden“ zu bieten hat. Denn nach und vor diesen im „Fieberwahn“ gesprochenen Worten, ist Spike Lee zwar ein ansehnlicher und interessanter Film gelungen, jedoch auch ein recht langweiliger, würde man ihn auf den bloßen Charakter des Montgomery beschränken. Mir ist klar, dass man das nicht tun sollte, weil letztlich mehrere Personen eine Rolle spielen, aber es zeugt von einer deutlichen Schwäche des Drehbuchs und dessen emotionalen Kerns, empfindet man die nebenstehenden Figuren spannender und aufwühlender, als die hauptragende und im Blickfeld stehende. Bei „25th Hour“ tritt aber genau das ein. Ein charismatischer Brian Cox als Montys Vater, ein mitreißender Philip Seymour Hoffman als gefühlsmäßig verzweifelter Lehrer Jakob und ein mehr als überzeugender Barry Pepper als arrogant-gelackter, aber dennoch ehrenvoller Börsenhai. Sie alle haben Nebenrollen. Aber sie alle interessieren mehr als die Person, um die es eigentlich geht: Monty alias Edward Norton. Das Drehbuch räumt dessen Entfaltung zwar mehr als genug Platz ein, bleibt aber zu weit auf emotionaler Distanz, als das es einen tatsächlich berühren könnte, was da mit ihm passiert. Da fühle ich mich vielfach mehr zu Cox hingezogen, der seinen einzigen Sohn nicht verlieren will oder zu Hoffman, der sich mit seinem Charakter in eine minderjährige Schülerin verliebt und mit aller Kraft versucht diesen Drang zu unterdrücken. Das waren noch kleinere „Momente“. Aber deswegen schaue ich eigentlich nicht diesen Film. Mir ging es grundsätzlich um Norton und seinen Feldzug nach Gewissheit. Den bekam ich zwar, jedoch auf eine recht zähe und langwierige Art und Weise, die mich kalt ließ und mir egal war. Nie schnürte mir "25th Hour" die Kehle zu, nie riss mich die (erahnbar-)zusetzende Atmosphäre in ihre (nicht) ausgefahren scharfen Klauen. Momente fehlten, die nicht gleich entfielen, ein Protagonist blieb aus, der mehr als nur beliebig war - Durchschnitt und nicht mehr. Nichts ist daran verwerflich, nimmt sich ein Film zeitlich einen großen Raum an geduldsertragenen Szenen, ärgerlich ist es aber, schöpft er daraus keinen Vorteil. Ich weiß, ohne die Laufzeit von 132 Minuten würde man nicht in den Genuss der doch recht weitreichenden Nebenhandlungen kommen, insbesondere aber auf den Bezug des Protagonisten, und um den geht es schließlich im Hauptaspekt, ist mir das hier zu sehende zu monoton, zu vergesslich, als das es mich berühren oder bewegen könnte.
 
Der im Inneren schlummernden Kostbarkeit der Geschichte, wie man mit seinem Leben abschließen soll, wenn es sich gerade auf freier Strecke befindet, wird nur eine oberflächliche Entfaltung entgegengebracht, die nie dem gerecht wird, was aus „25 Stunden“ hätte werden können. Ausgefallen und lohnenswert sind nur die kleinen Nebenhandlungen des knapp über zwei Stunden andauernden Filmes und die mehr als sehenswerten darstellerischen Leistungen, bei denen allen voran die männlichen Akteure, Rosario Dawson bleibt in ihrer Rolle als Mortys Lebensgefährtin sehr blass und uninteressant, eine überzeugende und auch nachhaltig beeindruckende Leistung abliefern – aber auch hier reihen sich Cox, Hoffman und Pepper vor Norton ein. Zugleich kann das Ende, das zwar versöhnlich, aber gegensätzlich opferbringend ist ("This life came so close to never happening."), aus „25th Hour“ keinen besseren Film machen als eingehend begonnen. Es ist also nur abzusehen, dass Spike Lees exzellentes kriminalversiertes Drama ausbleibt, ein verschwendbares oder gar schlechtes ist es jedoch auch nicht. Mehr wäre drin gewesen, weniger aber auch. Nur schade ist es allemal, denke ich an die grundinteressante Thematik und einige wirklich mehr als gelungene und zitatwürdige Szenen zurück. Immer ein bisschen erinnernd an die Worte, dass wir erst dann die Freiheit finden, haben wir alles verloren. Aber das war ja ein anderer Film.


6.5 / 10

Autor: Iso

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