Freitag, 19. September 2014

Ray, der Romantiker - Klassiker der Extraklasse: ...denn sie wissen nicht, was sie tun (1955)



»You're tearing me apart!« - Nick Ray wird ja nachgesagt, dass er den Jugendlichen als romantisches Wesen entdeckt habe, das möchte ich im Folgenden an seinem »Rebel without a Cause« gerne belegen, denn kein anderer Film - bis vielleicht auf Werner Herzogs »Nosferatu«, der wiederum auch gleich in der Epoche der Romantik spielt, während Ray die Merkmale dieser Epoche in die Moderne verlegt - strotzt nur so vor hemmungsloser Romantik, sodass ich gewillt bin zu sagen, dass dieser Ray einer der romantischsten Filme (= im Sinne dieser verdammten Zeitepoche!) ist, die mir bekannt sind. Die Jugendliche sind hier Suchende, die ihr Ziel (noch?) nicht kennen. In ihnen schäumen Tränen, Trauer, Verzweiflung und Wut auf, sie haben keine Kontrolle über ihre Gefühle und wissen nicht warum. In Nick Rays Film dominiert damit die stürmische Emotionalität. Die Jugendlichen suchen hier nach einer Heimat, welches ihnen das Elternhaus (scheinbar) nicht bieten kann, nach einem Ort, wo sie zu Hause sind. Sie sind ruhelos wie Nicks Film selbst, der in einem Zyklus von Tag und Nacht eingekreist ist, welcher in der stetig von Sekunde zu Sekunde wandelnden Welt eines Heranwachsenden von größerer Bedeutung ist als in dem eingefahrenen Alltag eines Erwachsenen. Die Jugendlichen streben und träumen hier ebenso nach der Unendlichkeit im Universum (= im Planetarium), während sie an ihre irdischen Probleme gefesselt sind. Und da gibt es auch die Jugendlichen, welche die Todessehnsucht packt und die sich Wagenrennen liefern, ihre Autos bis zum Abgrund jagen, um sie (oder sich?) von der Klippe stürzen zu lassen. Wieso tun sie das? Um sich zu beweisen? Sind es Mutproben, die ihre Potenz zeigen sollen? Es fallen Worte wie Stolz und Ehre. Wieso also? Die Antwort: Irgendwas muss man ja machen, was wiederum auch ihre (beziehungsweise diese scheinbar zeitlose) Perspektivlosigkeit in der Gesellschaft zeigt.



Da ist aber auch ein Junge, der neu in der Stadt ist, Jim Stark (leuchtend: James Dean), der einen Vater sucht und selbst zu einem wird. Sein Vater ist ein unterwürfiger, peinlich-penibler und tölpelhaft-verklemmter Pantoffelheld, der keine Autorität für Jim darstellt, der das sagt, aber etwas anderes meint und nicht bereit ist dafür einzustehen. Er ist ein Vater, der kein Vater sein kann. Jim dagegen ist ein aufrichtiger Individualist und Idealist, der, wenn er die rote Jacke, welche abenteuerliche und gefährliche Wildheit bedeutet, überstreift, seinen Aufbruch kundtut. Der sich gegenüber den anderen Jungen aber noch beweisen muss, die ihn erst stiefmütterlich behandeln und deren Respekt er sich erst erkämpfen muss. So sind da diese Jungs, die sich mit Messern gegenseitig auf den Straßen bekämpfen. Und da ist ein Mädchen (Natalie Wood), Judy, das nicht mehr die Liebe ihres Vaters erfährt, weil er keine Zeit mehr hat und den sie nicht mehr liebhaben darf, weil sie zu alt ist. Ein Mädchen, das nach Aufmerksamkeit verlangt, aber um das sich niemand mehr kümmert (bis vielleicht auf den kleinen Bruder). Und da ist noch ein schüchternder Junge, Plato genannt (Sal Mineo), dem nur das Kindermädchen geblieben ist, während seine Mutter verreist ist und sein Vater ihn verlassen hat, ihm nur Geld schickt. Plato ist ein unsicherer und zerbrechlicher Junge, der sich wie Jim auch nach einem Vater sehnt und in Jim ein Idol findet, dessen Freund er sein will. Jemand, der bei ihm ist, jemand, der vielleicht in seinen Träumen sein Vater sein könnte. Einen interessanten Ausdruck den Ray für die innere Zerrissenheit des Jungen findet, ist dabei der Gegensatz, dass Plato an einem Fuß eine blaue Socke, an dem anderen eine rote Socke trägt.




Wie sollen sie nun erwachsen werden? Es sind Jugendliche, denen niemand mehr helfen kann. Es sind Väter, die nicht zu hören. Die Jugendlichen entzweien sich hier von ihren Eltern, sie verstehen oder können einander nicht mehr verstehen. Sie wollen sich von den Eltern und ihrer Rationalität distanzieren. Und die Jugendlichen untereinander verspotten sich einerseits, brauchen sich aber andererseits auch gegenseitig. Die Jugendlichen, das sind Rebellen und Individuen, bei denen Ray besonders an diesem Einzelgänger Jim Stark interessiert ist. Die Eltern sind überfordert mit den Jugendlichen und die flüchten sich in  ihre eigene Gemeinschaft, bilden eine eigene »Familie« (= mit Jim als Vater, Judy als Mutter und Plato als Kind) in einer verlassenen, alten Villa, welche für sie ein verwunschenes Schloss ist, wie im romantischen Märchen und in dem sie sich nach dem Absoluten sehnen. Es bleibt ein utopischer Gedanke, der scheitern muss. Nicholas Ray erzählt seine Geschichte impulsiv im breiten und über(lebens)großen Cinemascope und bekennt sich dabei entgegen aller Natürlichkeit zu kraftvollen und hochemotionalen Gesten und damit zur Subjektivität, welche noch unterstrichen wird von den satten Farben des Technicolors. Aus Rays Film strömt dabei eine unbändige Energie, welche sich letztlich an dem Ort (= dem Griffith Observatory; nach D.W. Griffith benannt) bündelt, wo die Sterne (= Träume) greifbar werden und in einem beinahe schon delirierend-dramatischen Finale seine Vollendung findet. Ja, es ist ein Film von Jugendlichen, die nicht wissen, was sie tun sollen und Vätern, die nicht wissen, was sie antworten sollen und gleichzeitig auch ein Film über die Schöpfung eines Mythos, um einen einzelnen roten Blouson, umschlossen von zwei sanften Momenten der väterlichen Wärme, welche aber nicht von den (eigentlichen) Vätern ausgehen. Das Einzige, was man da noch kritisieren möchte ist vielleicht, dass einem die Zeit mit diesem Film dabei doch viel zu kurz vorkam.



8.5 / 10


Autor: Hoffman 

1 Kommentar:

  1. Ein ausnahmslos gelungener Film mit einem aussergewöhnlich gut aufspielenden Dean in der Hauptrolle. Sehr schön analysiert.

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