Donnerstag, 20. April 2017

Verhoevens dreckige Mittelalterfantasie - Kritik: Flesh and Blood (1985)



Paul Verhoeven ist der mit ziemlicher Sicherheit bekannteste Regisseur der Niederlande. Nur selten verlief eine Karriere mit derart ausgeglichenen Höhenflügen und Tiefschlägen. Erst letztes gelang ihm mit ELLE ein großer Wurf, der ihn erstmals nach Frankreich führte. Zuvor beendete der mittlerweile legendäre SHOWGIRLS seinen gar nicht mal so lange währenden Abstecher in die USA, der unverzichtbare SciFi-(ROBOCOP, TOTAL RECALL, STARSHIP TROOPERS) und Thriller-Stoffe (BASIC INSTINCT) hervorbrachte. Verhältnismäßig unterschätzt werden indes seine niederländischen Anfänge wie der großartige KEETJE TIPPEL oder die kontroversen TURKS FRUIT und SPETTERS. Untrennbar mit ihnen verbunden ist Rutger Hauer, der sich durchaus als Stammschauspieler Verhoevens bezeichnen lässt. Seit der kurzlebigen Fernsehserie FLORIS währt diese Zusammenarbeit, die erst mit dem Übergang in die USA ihr jähes Ende fand. Das letzte gemeinsame Projekt stellte FLESH AND BLOOD dar: ein (leider) kolossaler Flop, der das Mittelalter aus einer anderen als in Hollywood üblichen Sicht zeigen will. Es fehlen die ritterliche Romantik und Fantasy-Elemente, die durch ihre Wirklichkeitsferne das Potential besitzen, das rüde Geschehen aufzulockern.In diesem Sinne funktioniert der Film auch prächtig. Zwar sucht man vergeblich die Radikalität der düsteren Mittelalterentwürfe von beispielsweise dem tschechischen Meisterwerk MARKETA LAZAROVÁ oder den erst vor wenigen Jahren veröffenlichten russischen TRUDNO BYT' BOGOM, doch was heißt das schon? Keine Frage: An die Versifftheit und hoffnungslose Inhumanität der beiden Werke reicht Verhoeven nicht heran. Aber wen verwundert es, dass europäische Herangehensweisen an die Zeit resoluter ausfallen als die im Umkreis von Hollywood entstandenen?


Verhoeven bewegt sich hier jedenfalls etwas zwischen den Stühlen. Sein Film erzählt von einer Bande von Söldnern, die von ihrem Heerführer verlassen wird, aber dennoch weiter plündert als gäbe es keinen Morgen mehr. Martin (Rutger Hauer) ist nun der Anführer besagter Söldner, die mit Agnes (bereits hier schon toll: Jennifer Jason Leigh) die Verlobte eines Adeligen namens Steven entführen und zugleich die Burg seines Vaters besetzen. Dieser belagert sein ehemaliges Eigentum nun mit seinem Sohn und dem früheren Heerführer der Söldner. Ein Konflikt brodelt auf, der garantiert ein konsequent räudiges Ende finden wird. Explizit werden auch die mit dem Zeitalter einhergehenden Themen wie die Pest und Vergewaltigungen behandelt. Undenkbar mag es erscheinen, würden ein Hollywoodfilm jene in dieser Form abbilden. Interessant ist besonders Jennifer Jason Leighs Figur, die notgedrungen zwischen zwei Männern steht und sich für einen entscheiden muss...oder eben auch nicht. Es beeindruckt, wie diese Figur sich in ihrer misslichen Lage zu helfen weiß und ihre beiden Partien je nach Belieben gegeneinander ausspielt. Bisweilen erinnert die gekonnte Manipulation an Leighs Figur Daisy Domergue aus Tarantinos THE HATEFUL EIGHT. Wie der Leidens- und Liebesweg der Figur gezeichnet wird, besitzt hingegen mehrere Parallelen zu den Hauptfiguren aus den bereits erwähnten KEETJE TIPPEL und SHOWGIRLS. Es stimmt nachdenklich, dass sich Verhoeven eigentlich auf die Beziehung zwischen Martin und seinem Heerführer konzentrieren wollte und erst ein Produzenteneingriff Agnes' Rolle erweiterte. Weniger schön wäre es hingegen gewesen, wenn Rutger Hauer seine Ansicht, dass er als "good guy" porträtiert wird, um sein künftiges Rollenangebot in eine andere Richtung zu schieben, hätte durchsetzen können. So ist davon nur ein nie wieder geheilter Zwist zwischen Verhoeven und Hauer übrig. Schade, möchte man meinen, doch die Vielseitigkeit eines Verhoevens zeigte, dass er auch so seine mutigen Visionen (so gut es eben möglich ist) von abwegigen Stoffen umsetzen konnte, selbst wenn sein Weg nicht immer leicht war. Nächstes Jahr wird der Paul 80 Jahre alt. Hoffen wir deshalb auf noch viele weitere Filme des umtriebigen Niederländers.


                                                                       6/10

Autor: DeDavid

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