Freitag, 14. Februar 2014

Murnau, Fortuna und das Rad des Lebens - Klassiker der Extraklasse: Der letzte Mann (1924)




Irgendwie erinnerte mich Friedrich Wilhelm Murnaus »Der letzte Mann« aus dem Jahre 1924 zunächst an dieses altbekannte Märchen von Hans Christian Anderson »Des Kaisers neue Kleider«. Fragt mich nicht wieso. Vielleicht weil mich Emil Jannings an einen rundlichen Kaiser erinnert oder weil ich damit stets immer stets aufs neue den Ausspruch: Kleider machen Leute verbinde. Aber wie lässt sich denn ein Kontext knüpfen zwischen einer Autorität, die sich durch ihre großen Kleider definiert und einem Hotelportier, der durch seine Uniform eine gewisse Stellung in der Gesellschaft besitzt? Die Frage klärt sich von selbst. Bei Beiden kreist man um die jeweilige Akzeptanz der Gesellschaft und der Größe nach dem äußeren Schein und samt jenen Motiv schuf Murnau auch zugleich einen der großen Höhepunkte des deutschen Expressionismus. Während Karl Freund mit seiner Kamera hantieren, revolutionieren und einer der ersten Plansequenen der Filmgeschichte im Intro elegant präsentieren darf! Ja, Herr Freund entfesselt seine Kamera! Nicht umsonst trägt sie diesen Titel. Denn sie bewegt sich! Sie lebt! Die Kamera agiert und schwankt! Natürlich im flüssigen Rythmus. Freund erschafft die Kamerafahrt, mitten in Murnaus Großstadtkulisse.

Und ja der Murnau, ja der schreibt Geschichte und äußerst präzise Gesellschaftskritik. Murnaus Protagonist: Ein Hotelportier (Emil Jannigs), der mit Würde und Freude seiner Arbeit nachgeht. Doch auch das Alter zog nicht an ihm vorbei und die körperlichen Kräfte nehmen ihren Lauf. Das Mangement bemerkt: Man hat ausgedient, ist verbraucht, unnütz in der Gesellschaft, da er nicht mehr fähig ist seine primären Fähigkeiten zu nutzen. Er wird usgemutzert, degradiert (zur Toilettenarbeit) und dadurch gedemütigt und ersetzt durch einen jüngeren Kollegen, der noch voller Kraft und Energie steckt. Alt wird gegen Neu ausgetauscht. Abgegeben wird die Uniform. Das Schicksal eines Mannes und doch ist es kein Einzelschicksal. Viel kollektiver schildert Murnau diese Geschichte. Denn Murnaus Intention scheint auch die Zyklen des Glücks zu beleuchten. Sofort denkt man an das Rat des Glücks, das sich stets im konstanten Wechsel dreht. Wie Fortuna so will, aus dem Affekt heraus. So definiert sich aber auch der Status in der Gesellschaft nur durch die Gnade Fortunas.



Allein durch seine äußere Gestalt (mit Uniform) erntet der Hotelportier Ansehen bei seinen Mitbürgern, verbreitet Ehrfurcht, gibt den Ton an. wird bewundert und geehrt im Arbeiterviertel und besitzt einen dominanten Status in der Gesellschaft - allein durch diese Uniform. Als man die Versetzung bescheinigt, zerbricht der Traum. Der Stand ist gefährdet. Einzige Chance diesen Status beizubehalten: Der Diebstahl jener Uniform wird zum trügerischen Spiel zur Wahrung seines Prestige. Es beginnt für ihn eine Abwärtsspirale in der Gesellschaft. Murnau erzählt linear und zugleich kunstvoll, samt faszinierenden wie demonstrativen Spiegelmotiv (dem Murnau bereits in »Nosferatu« eine besondere Bedeutung zusprach) als Symbol der Eitelkeit und des Stolzes unterstreicht jener Spiegel erneut die Ehre im Herzen des Portiers, die er mit dieser Uniform verbindet. Und all das erzählt Murnau mit einer einzigen Texttafel, im zeitlichen Kontext ist das ein herausragendes Beispiel für Murnaus große Kunst der Erzählung, auch völlig ohne jedwede Dialoge aus zu kommen. Was dies voraussetzt ist klar, einerseits äußerst präzise und detaillierte Regie seitens Murnau, andererseits ausdrucksstarke Akteure, wohl am ehesten scheint dies behaftet mit den Worten Norma Desmonds: »We didn't need dialogue. We had faces!« - Emil Jannigs stellt jene Theorie unter Beweis. Ungeheuerlich wie er es doch schafft nur anhand von Gestik und Mimik nahezu perfekt seinem Charakter eine ganze Bandbreite an Facetten zu verleihen, um somit dessen Gefühle in jeweiliger Situtation glaubwürdig zu offenbaren. Auch Murnau vermittelt seinen Leitgedanken durch Bilder und Gedanken, spielt auch mit seinen (expressionistischen) Möglichkeiten, arbeitet direkt Licht- und Schatten. Anderswo lässt Murnau aber auch seinen bestechenden Traumsequenzen und überraschend seriösen Surrealismus, dank gekonnten Übergang der Ebenen, einen besonderen Wert zukommen. So betont er hier erneut Freunds Kameratechnik, offenbart aber auch teils abstrakt die gedanklichen Wünsche seines Protagonisten und seiner Idealvorstellung des Lebens.



Dies erlaubt sichtlich eine breitgefächerte Masse an verschiedenen Interpretationen, nicht nur in Hinsicht des Surrealismus, sondern auch der gesprochenen Worte, die der Zuschauer so selbst deuten und für sich übersetzten muss, das ist ein spannendes Detail an Murnaus Werk. Den Einsatz dieser einen Texttafel hatte sich der Murnau schließlich auch gut mit Drehbuchautor Cal Mayer überlegt, clever hat er das gemacht. Er bricht mit seinem eigenen Film. Natürlich ist das ironisch. Denn so will der Murnau doch nicht enden? So abstrus? Das Ende ist nur pures Glück oder gar ein simpler Zufall. Fortuna grüßt mal wieder. Denn das Rat dreht sich erneut. Ja un da dann überlegt man sich: Ist dieses Ende nicht im Grunde eine fast schon visionäre Reflexion der Weimarer Republik in den goldenen 20er Jahren? Man lebt in Prunk und Reichtum, wirft das Geld nur so um sich - und wird sich so (bei Murnau: vorraussichtlich) in hohe Verschuldungen verstricken. Murnau deutet doch damit, dass sein Charakter im eigentlichen Sinne Teil dieser Gesellschaft ist, denn es ist eine schwankende Stabilität von Reichtum, die dem Protagonisten zuteil wird. Wie bei der Weimarer Republik ist eine Scheinblüte. Auch wenn Murnau zugleich auch zugleich die Ironie und Willkürlichkeit des Schicksals pointiert und kommentiert, da muss man gleich an Billy Wilders berühmte Worte, passen tun sie zumindest zu Murnaus Film: »Wie das Leben so spielt, so fortunamäßig.«




8.5 / 10


Autor: Hoffman

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