Donnerstag, 16. Februar 2017

Deutsches Genrekino als reine Zitatesammlung - Kritik: Sibylle (2015)



»Sibylle« ist der Abschlussfilm von Michael Krummenacher an der HFF in München, ein Genrefilm und daher nicht ganz uninteressant, wenn man einen Blick auf ihn wirft. Denn allzu oft fördert das deutsche Kino (immer noch nicht) Genrekino ans Tageslicht. Zur Geschichte: Sibylle macht Urlaub mit ihrer Familie. Bei einem Spaziergang trifft sie auf eine ähnlich gekleidete und in etwa gleich alte Frau, die kurz daraufhin an einer Klippe Selbstmord begeht - aus unerklärlichen Umständen. Diese scheinbare Doppelgängerin wirft sie aus der Bahn und zunehmend wird Sibylle ihrer eigenen Familie und Bekannten fremder, sie fühlt sich zunehmend unwohler und sie beginnt wortwörtlich Gespenster zu sehen. Der Film ist das Psychogramm einer Frau, die langsam in den Wahn abdriftet. Für die Protagonistin ist es eine Irrreise, bei der sie die Kontrolle verliert und für die ein Alptraum lebendig wird. Die Vorbilder von Michael Krummenacher scheinen überdeutlich durch diesen düsteren Film zu spuken, insbesondere Kubricks »Shining« wird zum beliebten Zitierobjekt, ob das bei der Geschichte Sinn macht oder was das mit seiner eigenen Geschichte zu tun hat, scheint Krummenacher vor allem herzlich egal zu sein. Kubricks Film wird geplündert. So muss es unter anderem auch ein gespenstisch-leeres Hotel (mit Namen »Aurora«) geben mit befremdlich-grotesken Gestalten (auffallend: Eine Butler-Gestalt, die immer wieder auftauchen wird, fragen Sie nicht warum). Immer wieder verweisen Einstellungen auf die Stilistik des Kubricks Films.



Daneben müssen Dario Argentos Kunstwelten herhalten, zugegeben, dort hält sich Krummenacher dezenter, aber Ausleuchtung und die zumindest ausgeklügelte Farbdramaturgie verweisen zumindest auf den italienischen Meister. Man muss überhaupt zugeben, wenn man für den Film sprechen will, dass er immer wieder treffende Stimmungsbilder bereithält, die er in der Dunkelheit oder der bläulichen Nacht entwirft. Bilder, die für bestimmte Momente, etwas anziehendes und geheimnisvolles haben, denen man sich hingeben möchte. Das gilt besonders für den Anfang des Films, weil dort von der Geschichte noch alles offen ist, man noch offen für den Film ist, der mit seinen bedrohlichen Klänge und mysteriösen Geräuschen an sich binden möchte. Dieser Horrorfilm (man könnte ihn auch ebenso gut als Psycho-Thriller verstehen, aber diese Kleinlichkeiten sparen wir uns lieber) betont die Leere, die Isolation seiner Protagonistin und daran tut er gut. Denn es gibt Bilder und Momente, die einen einnehmen, daneben bleibt der Film eher bieder und mit bieder da meine ich einmal, dass seine Figuren allesamt komplett steril bleiben.



Man steht als Beispiel komischerweise nie auf der Seite der Protagonistin, sondern nimmt sie als paranoid wahr. Sie ist wahnhaft, aber man weiß, dass alles nur Wahn ist. Der Film bleibt wahrscheinlich zu unterkühlt, um das zu erreichen, was Martin Scorsese mit »Shutter Island« gelang (zu dem man hier auch eine gewisse Nähe an sich erkennen mag), nämlich auf einer Ebene mit der Figur zu sein. Denn so beäugen wir diese Figur eher skeptisch, hinterfragen mehr ihre Vorstellungen, die auch stets als Vorstellungen zu klar markiert sind. Wir glauben nicht, dass das die Wirklichkeit sein könnte (und so fragt man sich schlichtweg, wo überhaupt diese Visionen herkommen). Kurz gesagt: Wir verlieren diese Figur für uns. Krummenacher lässt seiner Protagonistin keine Ruhe, denn kein Moment kommt ohne irgendeinen Schock mehr für sie aus gegen Ende, ihm fehlt aber wohl das Feingefühl für seine Figuren, wie es Roman Polanski bei seiner »Mieter«-Trilogie zeigte, die dieser Film hier auch unzählige mal ausgiebig bemüht und mit haargenauen Einstellungen zitiert. Der Film richtet seine Achtsamkeit demnach mehr auf extrovertierte Momente, auf das Performative der Inszenierung. Die Geschichte bleibt leider schablonenhaft (und wird auch nie schlüssig - Anmerkung am Rande: Bei einem Film, der gewiss auch den Einfluss von David Lynch nicht verbergen will, würde mancher natürlich argumentieren, dass das kein Argument wäre. Man muss aber auch sagen: Lynchs Filme bieten eine Interpretation an, bei diesem Film verhält es sich eher so: Wo nichts ist und nichts angeboten wird, da kann man auch nichts weiterdenken). Die Geschichte folgt etablierten Mustern, gewiss, dazwischen finden sich interessante Einzelmomente, aber so an sich scheint der Film nur aus Versatzstücken zusammengebaut zu sein und das bringt diesen Film dann doch zu Fall.



Denn was soll man inhaltlich über ihn sagen? Er schildert den geistigen Verfall einer Frau, viel über seine Figur hat der Film aber auch nicht zu erzählen, denn ihm scheint mehr am nächsten Ereignis gelegen zu sein, bei dem der Film das Schauerliche zelebrieren kann und jedes Gimmick nutzt, dass das Genre für ihn bereithält (neben dem bereits genannten: überzogener Nebel oder mysteriöses Rauschen aus dem Telefon, dessen Sprecher man kaum noch versteht). Das lässt den Film zerstreut und diffus erscheinen, weil viele Momente, die typisch für das Genre sind, nicht wirklich etwas mit der eigentlichen (sowieso recht dünnen) Geschichte zu tun haben, auch wenn man diese viele kleinen Momente alle als Verfall des geistiges Zustandes seiner Protagonistin werten kann, was mir aber ehrlich gesagt auch etwas zu dünn und fadenscheinig ist (und wenn man es so begründen würde, es sich auch verdammt einfach macht). Schaut man diesen Film nun und versucht sich dem Inhalt zu näheren, könnte man als erstes auf die Idee gekommen, dass um eine Frau geht, die zunehmend von der Männerwelt, um sie herum, bedrängt wird. Vielleicht ginge es um die Rolle der Frau in der Familie und der Film würde folglich eine Demanzipation schildern. Jedoch zerstreut der Film diese Interpretation (scheinbar bewusst) durch das Hinzufügen (neben Vater, älterer Sohn, jüngerer Sohn, Augenarzt und seltsamer Nachbar) einer älteren weiblichen Figur, die plötzlich auch wie alle Anderen ganz komisch ist. (Zweite Idee: Vielleicht handelt der Film auch vom Grauen der Midlife-Crisis? Wer weiß das schon...)



Man hört auf jeden Fall, das Werk von Polanski (namentlich: »Repulsion«, »Rosemaries Baby« und »Der Mieter«) durch diesen Film schreiten. Auch ihn beschäftigte in diesen Frühwerken das Wahnhafte, das Abdriften in den Wahn und auch in einem Teil dieser Werke beobachtete er weibliche Protagonistinnen, die im Grunde allein in ihrer Welt standen. So verhält es sich auch mit diesem Werk. Nur ist Krummenacher kein Polanski, sondern scheint nur seine genannten Filme oft genug gesehen zu haben. Das Problem mit »Sibylle« ist aber nun, dass der Film nur über seine Vorbilder funktioniert, an denen er klebt, von denen er sich nie lösen kann, von denen er saugt und giert. Dennoch hat der Film leider keine eigene Geschichte zu erzählen (oder zumindest keine interessante, keine ausgefeilte), die eine eigene Dynamik entwickelt, die eigene Figuren entwickelt, der Film bleibt in seinen Ansätzen behaftet und bleibt somit schlichtweg ein inhaltlich dürres (und durchaus plakatives) Epigonenwerk, dem man aber immerhin Kurzweil zusprechen kann. Denn ja, ich wiederhole mich, der Film hat Momente, der Film hat Bilder, die sich lohnen, auch wenn wir sie bereits kennen mögen.

5.5 / 10

Autor: Ron Jäger

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